Kaum ein Mensch ist heute glücklicher als ich.
Manche Träume werden doch wahr.
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Foto Narcis Ciocan (Romania) #pixabay.com |
Das habe ich jedenfalls fest beschlossen!
Gesungen habe ich schon immer. Blockflöte zu Hause und in der
Schule. Kirchenchor, Schulchor-AG und dann mit etwa 11 Jahren
Akkordeonunterricht.
Gut anderthalb Jahre wurschtelte
ich mich allein durch Lehrhefte und Etüden-Schulen mit täglichen Übungsstunden
und Unterricht bei einem Musiklehrer. Der hieß Hans Flamm, trug eine
rundglasige Brille, hatte ein ebenso rundes Gesicht und wirkte in seiner Fülle
ziemlich feist.
Nichts desto trotz konnte er mit
seinen etwas wurstig dicken Fingern erstaunlich schnell über die Klaviertasten
huschen. Solange ich seinen Unterricht einmal wöchentlich besuchte, brauchte
ich kein Akkordeon mitzunehmen. Ich konnte mit der Straßenbahn nach Mülheim
fahren, die ganze Keupstraße hinauflaufen, in die Bergisch-Gladbacher-Straße
rechts herum abbiegen und einige Meter weiter in einem Hauseingang, dessen
Nummer mir nicht mehr einfällt, einen der Klingelknöpfe drücken. Es dauerte immer
geraume Zeit, bis der Summer ertönte, ich die hohe schwere Türe aufschob und
dann die langen Treppen mit den vielen Stufen bis in die 3. Etage hinauflief.
Manchmal musste ich noch warten,
weil jemand vor mir dran war. Ich saß dann wie Piek 7 in einem der alten Sessel
in einer Art Wohnzimmer und wartete. Das kleine hellblaue Lehr- und
Hausaufgabenheft enthielt Fragen und Aufgaben, die ich lernen sollte. Hab ich
auch gemacht – leider behielt ich davon nicht viel. Ich war immer heilfroh und
grenzenlos erleichtert, wenn Herr Flamm keine Fragen zur aktuellen Lektion
stellte.
Ganz ehrlich habe ich mich bei
dem alten Herrn immer unwohl gefühlt. Nicht nur, weil ich Muffensausen davor
hatte, dass er vielleicht doch mal den theoretischen Kram abfragte, sondern weil
mir seine Nähe unangenehm war, denn er rückte mir allzu nah auf die Pelle, wenn
er mir auf dem Instrument, das ich leihweise vor mir hatte, etwas zeigte. So
spielte ich ziemlich rasch, was er mir in der Stunde zuvor aufgegeben hatte,
erhielt neue Aufgaben und verließ anschließend gerne eiligst seine Wohnung.
Warum das so war, weiß ich nicht. Irgendwie fand ich ihn komisch.
Trotzdem habe ich eine Menge
gelernt – zumindest das Spielen lernte ich.
Es war 1973, ich glaube im
Sommer, als meine Mutter auf die Idee kam, ich könnte doch in einem Orchester
spielen. Ob sie Herrn Flamm fragte oder ob ich im Auftrag fragte, weiß ich
nicht mehr. Jedenfalls gab Herr Flamm uns eine Telefonnummer, wo wir anrufen
könnten. Wenn ich schon unbedingt in einer Gruppe spielen wolle, so meinte er,
dann wenigstens bei dem besten Orchester, das er kenne.
Oh, ich erinnere mich noch
ziemlich genau, wie das ablief. Meine Mutter vereinbarte mit dem Dirigenten,
Heinz Gengler, einen Termin, an dem ich zum Vorspielen kommen sollte. Vorspielen
– oh Graus!
Aber erstmal wurde nix draus. Ich
schlug nämlich ungeschickterweise mit der rechten Hand, genauer mit den
Knöcheln der rechten Hand auf eine der dicken Kakteen meiner Mutter. Schlimm,
dass die Stacheln in der Haut blieben. Noch schlimmer, dass ich Zeige- und
Mittelfinger nicht gut bewegen konnte. Die beiden Knöchel waren geschwollen und
brannten höllisch. Blöder Kaktus! So wurde der Termin um eine Woche verschoben.
Eine Woche länger Lampenfieber!
Ich hab’s ausgehalten. Verlassen hat es mich bis zum letzten Ton bei Herrn
Gengler nicht mehr. Herrje! Wie kann man so nervös sein? Ich bibberte
innerlich, als ginge es um mein Leben. Der Dirigent stand in seinem
Unterrichtszimmer rechts vor mir, meine Mutter ‚lauerte‘ etwas hinter ihm in
meinem linken Blickfeld. Erschießungskommando, dachte ich einen Moment, bevor
ich meine Finger auf die Tasten legte und zu spielen begann.
Klingt alles furchtbar. Im
Nachhinein war es dann nicht so schlimm. Erstens musste ich nicht viel
vorspielen – ich glaube, ich spielte „Alte Kameraden“, einen zackigen Marsch –
und zweitens war dieser Dirigent und Musiklehrer irgendwie herzig. Er lächelte
sehr nett und winkte ab, nachdem ich nur eine Seite vom Marsch zum Besten
gegeben hatte. Und dann fiel sein Urteil so erfreulich aus, wie ich es mir in
meinem kühnsten Traum nicht hätte ausmalen können.
Aufgrund meines Alters und der
fehlenden Orchestererfahrung wurde ich dem Jugendorchester zugeordnet. Ich
freute mich wie Bolle.
Mein dicker Herr Flamm freute
sich weniger. Ja, er war am Schluss sogar richtig sauer und meinte, wenn ich
schon „beim Gengler im Orchester“ spiele, dann könne ich ab sofort auch
Unterricht bei dem nehmen. – Das war ja dann wohl ein Rausschmiss! So verstand
es auch meine Mutter.
Es war im Grunde genommen das
Beste, was mir passieren konnte. Ich bekam dann Unterricht von Heinz Gengler.
Nicht immer einfach, weil der
liebe, mild-lächelnde Heinz Gengler manchmal auch ganz schön aufbrausen konnte,
wenn ich einen schlechten Tag hatte – oder er – und keinen Ton richtig zu
treffen schien, wenn ich – weiß der Geier, wieso – Knoten in den Fingern zu
haben schien.
Hin und wieder ging das
Temperament mit ihm durch. Dann war er entweder so entrüstet über mein
Unvermögen, dass er selbst zu einem kleinen Akkordeon griff und mir nicht ohne
einen Anflug von Wut vorspielte, wie er es von mir zu hören wünschte, wobei er
den Balg weit aufzog und mich fast vom Stuhl schubste. Oder er war derart
begeistert, dass er mit Riesenschritten von einer Ecke des Musikzimmers in die
andere lief, wobei er mit seinen Armen weit ausholende Bewegungen machte, um
mich allegro molto vivo voranzutreiben oder multi-hyper-crescendo-fffff lauter
zu machen und dabei gelegentlich meinen Notenständer in Gefahr brachte,
umzustürzen. – Am Ende stand er dann mitunter an der Tür, stützte eine Hand in
die Hüfte, lächelte wieder milde, nickte und schaute fast verliebt drein, wenn
er sagte: „Gut.“ Welch Lob! So kostbar auch, weil ich es nicht so oft hörte.
Das ist nun ewige Zeiten her. Um
es genau zu sagen: 43 Jahre. –
Ich hatte insgesamt gut 4 Jahre Unterricht bei ihm. Wertvolle Jahre!
Und nach gut einem Jahr durfte ich dann im „ersten“ Orchester mitspielen.
Wieder so ein nervöser Tag… Aufregung beschreibt meinen Zustand kaum. Ich hatte
ja auch keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Und dann setzte Herr Gengler
mich auch noch in die erste Stimme. Da wäre ich am liebsten im Erdboden
versunken. Und beim Spielen vom Blatt war ich an jenem Abend eine solche Niete,
dass eine Tarnkappe zu meinem liebsten Kleidungsstück hätte avancieren können.
Aus Gründen, die vermutlich nur
ich selbst verstehen kann, schmiss ich, knapp 19-jährig – meiner Mutter die
Brocken, sprich das Instrument samt meiner Musiker„karriere“ vor die Füße. Ich
behauptete, nur zu spielen, weil sie es wollte. Damit hab ich mir nur selbst
geschadet. Das wusste ich jedoch zu jener stürmischen Rebellinnenzeit nicht.
Knapp ein Jahr später war ich
wieder dabei. Ich hatte geheiratet, kaufte mir ein Instrument und durfte da
weitermachen, wo ich aufgehört hatte. Doch es währte wiederum nur ein Jahr,
dann gab ich das Spielen ganz auf. Der Zwiespalt, in den ich geriet, weil ich
das Gefühl vermittelt bekam, dass ich meine junge Ehe vernachlässigte,
bereitete mir solche Gewissensbisse meinem Mann gegenüber, dass ich die Musik
an den berühmten „goldenen Nagel“ hängte.
Zeit verging – ich wurde Mutter
von zwei stürmischen Lausbuben und frönte dem Hausfrauendasein. Bis eines Tages
unser Telefon klingelte und ein lieber früherer Spielgenosse fragte, ob ich
nicht Lust hätte, in ihrem kleinen Akkordeonorchester mitzuspielen.
Ganz ehrlich: Ich war Feuer und
Flamme vom ersten Moment an. Meine Einwände – kein Instrument, zwei kleine
Kinder, eigentlich keine Zeit, mein Mann… - lösten sich in der Unterhaltung mit
dem lieben „Kollegen“ in Wohlgefallen auf. Und so kam es, dass ich wieder dabei
war. Allerdings in einem kleineren Kreis von Spielern, nicht bei den Kölnern. Diese
Episode endete soweit ich mich erinnere damit, dass diese Gruppe sich in
Wohlgefallen auflöste.
Jahre zogen ins Land. Zwar hatte
ich Gelegenheit, mit einem anderen Spielerkollegen die eine oder andere Note zu
klimpern, besaß auch mal ein kleines Klavier und – JA, ich hätte schon sehr
gerne viel früher wieder musiziert, aber mein Leben verlief stets und ständig
vollkommen anders als geplant.
JETZT. Fast dreißig Jahre später
lässt mich die Musik in meinem Innern nicht los. Es hat mich erwischt, wie eine Frühlingsliebe. Und obwohl alle
bisherigen Suchen der vergangenen drei, vier Jahre nach einem Instrument am notwendigen
Kapital scheiterten, suchte ich erneut nach einem finanzierbaren Akkordeon.
Kaum zu glauben: Bingo! Es gab
gleich mehrere Angebote. Und so schlug ich zu, kaufte für 350 Euro ein
Hohner-Akkordeon. In meiner Begeisterung bildete ich mir ein, dass das
Instrument so gepflegt sein würde, wie ich es getan hätte, und dass es trotz
seiner 62 Jahre gut spielbar und orchestertauglich sein würde.
In mir reifte der kühne Gedanke,
mich wieder einem Orchester anzuschließen… Zufälle gibt es meiner Auffassung
nach nicht, und so erstaunte es mich wenig, dass ausgerechnet in meiner näheren
Umgebung das Frühjahrskonzert des Ersten Kölner Akkordeon-Orchesters
stattfinden würde. Ich nahm via Facebook Kontakt auf, fragte nach Karten fürs
Konzert, und ich outete mich als „Ehemalige“.
Mit viel Herzklopfen, ganz aufgeregt fuhr ich zum Konzert. Ob ich noch jemanden
wiedererkennen würde? Ob man mich erkennen würde? So viel spannende Aufregung
hatte ich lange nicht. Und dann das Wiedersehen! Welche Freude auf beiden
Seiten. Ich war ganz happy!
Das Konzert – ein Ohrenschmaus.
Und es juckte mir bereits in den Fingern. Wie gerne hätte ich da oben gesessen
und mitgespielt. Und natürlich ergab sich auch die Frage danach, ob ich wieder
dabei sein wolle. Da wusste ich, dass genau das mein Ziel sein würde.
Ein Instrument war auf dem Weg zu
mir, ich würde fleißig üben, und dann, ja dann…
Dann kam der Tag, an dem mir das Akkordeon gebracht wurde. Ich konnte es kaum
erwarten, dass der Verkäufer endlich ging und mich mit meinen ersten
Spielversuchen nach fast 30 Jahren allein ließ… - Leider gab es kein „Bingo“
als ich es aus dem Koffer packte. Das temperamentvolle „Bingo“ con fuoco reduzierte
sich von einem Takt auf den nächsten zu einem breiten largo. Kleider machen
nicht immer Leute, tröstete ich mich rasch beim Anblick des Instruments und
übersah großzügig das angeknabberte Perlmutt, das eingedrückte Metallnetz und
den fleckigen Balg. Ich verzieh dem Gerät auch den äußerst schwergängigen Balg,
den ich spürte, als ich es umgeschnallt und erstmals aufgezogen hatte und auch
den enormen Tiefgang der Tasten. Doch bei den ersten Spielversuchen fiel meine Stimmung
mit einem Schlussakkord ziemlich vivacissimo unter den Gefrierpunkt.
Percussion on board, so könnte
ich das Geklapper der Tastatur beschreiben.
Es spielt, wann es will, so könnte ich den Anschlag der letzten 5 bis 8 Tasten
des Diskants beschreiben, denn entweder ist dem Akkordeon gar kein Ton zu
entlocken oder aber es ertönt einer, den ich gar nicht gespielt habe.
Ich tröstete mich zunächst damit,
dass das Instrument ja 4 Jahre nicht
gespielt wurde und deshalb erstmal wieder zum Leben erweckt werden muss. Wenig
tröstlich fand ich die Erkenntnis, dass ich mit diesem Schätzchen auf keinen
Fall dem Dirigenten vorspielen könnte und erst recht keine Bereicherung für das
Orchester sein würde.
So übte ich eifrig jeden Tag
meine Etüden und stellte fest, dass die gebräuchlichsten Töne dann doch einigermaßen
funktionierten. Zum Üben also taugte es auf jeden Fall. In der Zwischenzeit
hielt ich bereits Ausschau nach einem anderen Instrument, musste aber erkennen,
dass ich nicht in der Lage sein würde, so bald über 2 000 Euro und mehr
aufzubringen, um ein solches zu erwerben.
Inzwischen habe ich das Gefühl,
die Töne funktionieren immer weniger. Jetzt klingen einige sogar ziemlich
schräg. Ich glaube, ich habe es überfordert, erschreckt mit meinem Übungseifer.
Vielleicht auch mit der Literatur, die ich ihm zumute? Keine Ahnung, was die
Vorbesitzerin spielte.
Und während ich mich bereits mit
dem Gedanken anfreunden und abfinden wollte, dass ich, wie so viele Male in
meinem Leben Träume und Wünsche in die Zukunft verschiebe oder Träume ebensolche
sein lasse, fiel mir ein Spielerkollege ein, der ein Instrument hat, auf dem er
nicht oder nur noch selten spielt… Da ich beschlossen hatte, bei aller
Wartezeit oder der möglichen Unmöglichkeit des Mitspielens auf jeden Fall Kontakt
zu halten, telefonierte ich heute mit ihm.
Musiker können es nicht lassen
über die Musik zu sprechen. Freilich hätte ich ihn auf jeden Fall auch selbst
direkt gefragt, aber im Laufe des Gespräches bot er mir von sich aus an, dass
ich zunächst mal mit seinem Instrument spielen darf.
Musik ist ein wichtiger Teil
meines Lebens – jetzt bald auch wieder vollaktiv.
(15. Juli 2016 by AF)
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Foto by Holger Schué (Stadecken-Elsheim) #pixabay.com |
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